Beitrag für den WBG-Schreibwettbewerb „Wissen teilen. Weiter denken“
Ein Fluss der Gedanken über geteiltes Wissen
„Wissen ist Macht“, soll Francis Bacon angeblich gesagt haben. Macht teilen scheint ein demokratisches Prinzip zu sein. Weiter gedacht ist es aber so, dass geteilte Macht auch eine Schwäche sein kann, wie Sun Tzu oder Machiavelli es in ihren Werken durchaus zum Ausdruck gebracht haben und was sich letztlich im römischen Ausspruch „divide et imperat“ als Strategie zum Sieg niederschlägt.
Wenn ich also mein Wissen teile, dann doch nur unter der Bedingung, dass sich daraus mehr Wissen ergibt. Das wirft viele Fragen und Probleme auf.
Vielleicht sollte Wissen gar nicht geteilt, sondern nur gegen einen Preis erworben werden. Ich denke da an Spoiler. Spoiler mag, glaube ich, kein Mensch. Sie sind vielen nur egal. Was war das für ein Kampf um die Serie „Game of Thrones“ deren literarisches Pendant ich schon lange vor der Serie gelesen hatte. „Du musst es unbedingt lesen.“ „Nein, nein. Das interessiert mich nicht.“, waren dann häufig die antworten. Und als dann die Serie kam hieß es „Das solltest du unbedingt sehen!“ und ich antwortete „Nein, nein. Ich kenne schon alles.“ „Dann verrate mir aber nichts!“ „Okay. Dann können wir aber auch nicht über die Serie reden!“ Und während alle gemeinsam die Serie sahen, machte ich etwas anderes.
Der Spaß an dem Wissen um den Inhalt von Serie und Buch lag ja aber eigentlich darin, es sich selbst zu erarbeiten und nicht gesagt zu bekommen. Wissen sollte also erarbeitet oder für den Preis der Arbeit erkauft werden. Auf der anderen Seite ist manches Wissen so komplex, dass es ohne geistige Zufütterung nicht richtig ankommt. Immanuel Kant schreibt wirklich kompliziert und er selbst sagte von sich er könne es halt nicht anders. Da ist doch jemand gut, der einem zeigt, wie man die komplizierten Texte entwirren und auslegen kann.
Aber für jeden redlichen Lehrer gibt es viele Scharlatane, die ihr so genanntes „Wissen“ mit anderen teilen. Xavier Naidoo weiß, dass Hollywoodstars Kinderblut trinken. Das Problem mit „Wissen“ ist, dass es von „Fakten“ abgeleitet wird, die häufig einfach abgetan oder falsch ausgelegt werden können. Oder es wird in der Diskussion die Zauberformel „Da musst du mal ins Internet gehen und dich schlau machen!“, verwendet. Ich würde ja sagen: „Da solltest du mal dein Hirn aus dem Internet raus nehmen und mal wieder reaktivieren, statt dich beschallen zu lassen!“
So entstehen Verschwörungsmythen: Bill Gates sagt in einem TED-Talk: „Wir müssen durch Impfungen die Geburtenrate in Afrika reduzieren.“ und solange man nur diesen Ausschnitt bei Youtube gesehen hat (der so oder so ähnlich faktisch existiert) und nicht den ganzen restlichen Beitrag hörte, glaubt man, dass Impfungen den Zweck haben zu töten.
Da müsste man jetzt weiter denken, statt quer zu denken. (Das wäre doch ein guter Slogan für die WBG oder? „Weiterdenken statt querdenken!“ Ich weiß, dass ein Werbetexter für so etwas Geld bekommt. Hätte ich das Wissen jetzt für mich behalten sollen? Hätte ich der WBG ein Angebot machen sollen?)
Aber was braucht es dafür; zum Weiterdenken?
Dazu braucht es Vertrauen. Um Wissen zu teilen muss ich der Person, mit welcher ich das Wissen teile, vertrauen können. Auch der, der das Wissen haben möchte, muss der Quelle vertrauen können, aus der das Wissen stammt.
Wenn ich meinem Kind nicht vertraue, gebe ich ihm nicht den Code für die Kindersicherung im Internetbrowser. Wenn ich meinem Mitarbeiter nicht vertraue, gebe ich ihm nicht Gewalt über die Konten. Wenn ich meinen Mitmenschen nicht traue, verrate ich ihnen keine Geheimnisse.
Sich anvertrauen ist letztlich auch nur ein anderer Ausdruck für Wissen über sich selbst und die Weltsicht preisgeben oder?
Wenn sich ein Katholik im Beichtstuhl seinem Priester anvertraut, dann baut er auf die Schweigepflicht im Beichtstuhl und das Sakrament, welches damit verbunden ist. Aber hier braucht es mehr als Vertrauen, hier braucht es den Glauben.
Glauben daran, dass das Ganze einen Sinn hat und tatsächlich in dem Sinne genutzt wird, wie es beabsichtigt war. Egal was einer schreibt, sagt oder tut, er sollte wissen, dass es später von einem anderen in irgend einer Weise missbraucht wird. Der Mensch verdirbt die Dinge letztlich zwangsläufig. Vielleicht wäre es besser als Wilde ohne Technologie zu leben.
Entdeckung des Feuers → Essen zubereiten und die Höhle wärmen → Andere Höhlen beziehungsweise deren Inhalt in Brand stecken.
Entwicklung des Bogens → Bessere Jagd → Besserer Mord
Entwicklung der Sprache → Bessere Kommunikation → Besserer Rufmord
Entwicklung der Schrift → Konservierung von Wissen → Verfälschung von Wissen für politische Zwecke.
Und dennoch. Mussten nicht erst Raketen in London einschlagen, bevor eine Rakete den Mond traf und ein Mensch auf ihm wandelte? Ist nicht der Griff nach den Sternen mit Rückschlägen, ja sogar Rückschritten verbunden? Unterstelle ich hier Teleologie? Nein es ist reiner Hedonismus.
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“, schrieb Kant einst in der Praktischen Vernunft. Darf ich glauben, dass das von uns festgehaltene und geteilte Wissen letztlich doch zu etwas Besserem führen kann? In Bezug auf Technik habe ich dauernd Beweise, dass die Dinge besser werden. Auch dann, wenn sie genauso gut für Krieg und Tod Verwendung finden. Der Antrieb der Rakete zur ISS ist identisch mit dem der Atomrakete. Sollte ich deswegen nicht ins Weltall wollen?
Und habe ich nicht auch für die Kultur des Menschen Beweise, dass sich das geteilte Wissen um Fakten positiv ausgewirkt hat, auch wenn der Preis schrecklich war? Ich habe Menschenrechte, weil es sie bis 1945 nicht gab.
Wissen teilen. Ja, aber nur mit den Menschen, die damit auch umgehen können. Weiter denken? Immer, da ich das gezeigte Wissen aufwerten, auf Fehler prüfen und anwenden sollte, wenn die Menschheit nicht in einer evolutionären und kulturellen Sackgasse enden will.
Warum?
Tja... was gäbe es denn für eine bessere Alternative?
Ich für meinen Teil habe keine Ahnung, was Qualität oder Ästhetik ist.
Ich kann ein Plädoyer dafür halten, wieso ich Ästhetik und Kunst für ein Nullsummenspiel halte, dass nurnoch reproduziert und nichts Originelles mehr erbringt. Aber werte ich damit die Freude derjenigen ab, die sich die Mühe machen ein Bild von Van Gogh oder ein Gedicht von Lasker Schöler zu interpretieren und dabei für sich etwas finden, was sie vorher nicht wussten? Selbst wenn die Erkenntnis, die diejenigen erlebten auf einem niedrigen Niveau passiert?
Wahre Geschichte: In meiner Studienzeit musste ich an eine Schule gehen und in einem Leistungskurs Deutsch einige Stunden hospitieren. Die Lernenden hatten gerade Maria Stuart von Friedrich Schiller gelesen. Wir saßen also da und kamen gerade zu der Szene, in der Maria ihre Zelle verlassen darf und in den Garten geht, bevor sie mit Elisabeth spricht und sich von der Welt verabschiedet, weil klar ist, dass sie hingerichtet wird. Ich erinnere mich noch, wie der Lehrer die Frage stellte: "Maria spricht hier von einer Freiheit, die sie empfinden würde. Erklären Sie mir doch bitte, worum es sich bei dieser Freiheit handelt und belegen Sie es am Text."
Nun, es lag für mich auf der Hand. Maria hat mit ihrem Leben abgeschlossen und ist frei von ihren weltlichen Sorgen. Die Lernenden überlegten jedoch lange. Für sie war es sehr schwer Marias Schritt nachzuvollziehen. Wie konnte jemand seinen eigenen Tod und somit auch seine Niederlage gegen so jemanden wie Elisabeth akzeptieren?
Nach längerem Denken meldete sich eine Lernende und antwortete: "Ich denke, dass sie Freiheit empfindet, weil sie in den Garten gehen durfte. Da ist man ja freier, als in der Gefängniszelle." Ich war damals noch wesentlich jünger und weniger zurückhaltend. Mir entglitten die Gesichtszüge bei dieser unzureichenden Antwort und der Lehrer bemerkte das.
Er gestaltete die Situation neu und verwandelte die Beschreibung der Lernenden in einen wichtigen Punkt. Denn die Reflexion, die Maria dazu bringt, ihr Schicksal zu akzeptieren und die Bürdeabzulegen, geschah ja schließlich bei ihrem Gartenspaziergang. Zumindest könnte man es so interpretieren.
Mit ihren begrenzten Fähigkeiten hatte die Lernende also durchaus das richtige Bild vor Augen, es jedoch falsch interpretiert. Jetzt, nach ein bisschen Hilfe, interpretierte sie es neu und obwohl ich fand, dass es noch immer nicht ganz richtig war, konnte man ihr ansehen, dass dieser Erwerb des Wissens - so falsch er zunächst und auch im Nachhinnein noch war - sie doch mit einer gewissen Befriedigung entlohnt hatte.
Sobald Sie eine kapitalistische Variable einbringen, ist das Ideal natürlich gestorben, da gebe ich Ihnen recht.
Für den einfach gestrickten Kapitalisten steckt der utilitaristische Nutzen in der Vermehrung des Glückes, wie auch immer das geartet sein mag. In der Regel wird es mit FInanzkraft erworben.
Auch muss - und da stimme ich Ihnen wieder voll zu - Wissen kein Erfolg sein. Denken wir nur an das klassische Gedankenexperiment "Fall vom Turm". Wir nehmen an, dass wir am Taipehtower hängen und kurz davor sind hinabzustürzen. Unsere besten Freunde kommen und sehen, dass wir in Gefahr sind. Keiner von Ihnen hilft uns, weil sie sich selbst in Gefahr bringen würden. Wir stürzen ab, überleben aber wie durch ein Wunder und treffen unsere Freunde wieder. Die Frage ist, ob wir glücklicher mit dem Wissen um die Opferbereitschaft der Freunde sind, als ohne dieses Wissen?
Sofern Wissen einen inhärenten Wert hat, ist er in einer kapitalistischen Weltsicht, die einem hedonistischen und vor allem auf Ergebnisse bedachtem Prinzip unterliegt, nicht erkennbar. Wissen ist darin immer nur Mittel zum Zweck.
Wenn hingegen das Ausloten der einzelnen Stärken und Schwächen eine Tugend ist und man diese kultiviert. Dann sollte das Ergebnis der Reise zur Erkenntnis nicht die Reise selbst bestimmen.
Sowohl in der Philosophie der alten Griechen, als auch der klassischen chinesischen Philosophie steht die Selbstkultivierung in einer Umwelt der Unzulänglichkeiten und Leiden im Mittelpunkt. Für Aristoteles ist es beispielsweise egal, wieviel Talent ich habe, solange ich meinem Talent angemessen handele. Bin ich Ski-Anfänger gehe ich auf die Anfängerpiste. Vielleicht werde ich niemals auf die Profipiste gehen, aber sollte ich daher sofort aufhören Ski zu fahren?
Das Ergebnis steht bei idealistischen Handlungen nicht als Wert zur Verfügung, sondern die Absicht, die man verfolgt.
Aber Sie haben natürlich Recht. Die Frage nach Sinn und Zweck der menschlichen Handlung bleibt weiterhin offen.
Ich will nur sagen, dass es wahrscheinlich immer noch besser ist zur eigenen Erkenntnisvermehrung zu handeln, als überhaupt nicht zu handeln.