Stephan Malinowski, Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration.
Mein erster Impuls war, interessieren mich die Hohenzollern und welche neuen Erkenntnisse könnte dieses Buch bringen, zumal nach Lektüre der Zeitungsrezensionen für mich schnell klar war, dass nichts „Skandalöses“ oder Spektakuläres hier ans Licht kommt. Eine Empfehlung des Schriftstellers Christoph Hein machte mich dann aber doch neugierig und ich stellte mich der Aufgabe, mich über 600 Seiten lang vor allem mit dem ehemaligen Kronprinzen Wilhelm und seinem Wirken in der Weimarer Republik und im Dritten Reich auseinanderzusetzen. Für mich als Nicht-Historikerin keine immer leichte Lektüre. Es gab sehr spannende Passagen und dann aber auch Kapitel, durch die ich mich regelrecht „durchkämpfen“ musste.
Drei Dinge habe mich letztlich sehr beeindruckt:
Zum einen gelingt Malinowski eine sehr profunde Analyse des deutschen Konservativismus in der Weimarer Republik. Durch fast alle Spektren konservativer Gruppierungen ließ sich eine tiefe Abwehrhaltung gegen Demokratie und Parlamentarismus feststellen und diese Abwehrhaltung spiegelte sich auch in allen Äußerungen und Parteinahmen der Hohenzollern Familie und vor allem in der Person des Kronprinzen wider.
Ein besonderes Augenmerk legt Malinowski auf die Symbolpolitik der Hohenzollern und deren Bedeutung für den deutschen Konservativismus und den Aufstieg der Nationalsozialisten. Sein Fazit, dass die Hohenzollern durch ihre strategisch hochprofessionelle, mit unzähligen Fotos, Zeitungsberichten und Interviews sehr medial gestützte Symbolpolitik, aber auch durch ihre Mittlerrolle zwischen den verschiedenen konservativen Milieus, nicht nur den Boden für die nationalsozialistische Machtübernahme vorbereitet, sondern letztlich auch dafür gesorgt haben, dass das nationalsozialistische System so schnell und unangefochten Fuß fassen konnte, ist für mich eine der Kernaussagen des Buches. Vor allem das Bestreben der Hohenzollern, insbesondere des Ex-Kronprinzen und seines Sohnes Louis Ferdinand in der internationalen Presse, bei ausländischen Freunden und Geschäftspartnern sowie Politikern für Hitler und seine Ideen zu werben, machten sie in den Anfangsjahren des Dritten Reichs zu wertvollen Mitstreitern für die nationalsozialistischen Machthaber. Dass alle konservativen Kräfte und mit ihnen die Hohenzollern allerdings schnell von „nützlichen Idioten“ zu „nutzlosen Beifahrern“ (S. 429) wurden, ist keine neue Erkenntnis, unterstreicht aber die Fehleinschätzung der Hohenzollern und des EX-Kronprinzen, Hitler als einen Verbündeten für zukünftige eigene staatstragende Rollen zu sehen.
Im Schlussteil nimmt dann das Buch für mich noch einmal richtig Fahrt auf: Malinowski schildert die Anfeindungen und juristischen Klagen, denen sich all jene ausgesetzt sehen können, die sich heute im 21. Jahrhundert mit den Hohenzollern beschäftigen bzw. Artikel oder wissenschaftliche Arbeiten zu ihnen veröffentlichen. Er verweist unter anderem auf die Internetseite „Klagen der Hohenzollern“, auf der unzählige Abmahnungen und Klagen gegen Historiker, Journalisten und Politiker aufgelistet sind. Und es wird deutlich: auch wenn die Hohenzollern aus dem zeitgenössischen Gedächtnis verschwunden sind und oft nur noch als historische Größe wahrgenommen werden, sie sind präsent und sie versuchen, ihre Interessen auf vielen Ebenen durchzusetzen, auch oder gerade weil es um ehemalige Besitztümer geht und in diesem Zusammenhang eben auch um historische Narrative.
Wer sich tiefer mit der Rolle des Adels im Nationalsozialismus beschäftigen will, dem sei an dieser Stelle auch das sehr spannende und fast wie ein Politthriller geschriebene Buch Karina Urbachs empfohlen: „Hitlers heimliche Helfer. Der Adel im Dienst der Macht“. ( https://www.wbg-wissenverbindet.de/shop/30102/hitlers-heimliche-helfer ) Ihre Beschreibung und Analyse eines international agierenden Adels, der sich nicht nur oftmals klar politisch positioniert hat, sondern auch regelmäßig versuchte, Einfluss zu nehmen und sich den politisch Herrschenden als willige Wegbereiter und Unterstützer ihrer Politik empfahlen, offenbart, wie sehr die ehemals herrschende Klasse des Adels über alle Landesgrenzen hinweg weiter wirkte und wie anfällig viele von ihnen - und auch das über alle Landesgrenzen hinweg - für die Ideen des Nationalsozialismus waren.
https://www.wbg-wissenverbindet.de/shop/41780/die-hohenzollern-und-die-nazis
Sehr gut, dass Sie sich ermahnt haben, lieber Herr Lupa. Schließlich gibt es andere dicke Bücher, die auf Ihre Lektüre warten. Nachdem ich die ersten Seiten des Bandes von David Gräber und David Wengrow angelesen habe, ist mein Bücherstapel auch wieder etwas höher geworden. Es liest sich sehr gut und das Thema ist wirklich faszinierend. Und so danke ich Ihnen noch einmal für Ihre Empfehlung!
Gabriele Jung, oh ja, die gibt es in der Tat. Eine profunde Auseinandersetzung mit einem Thema macht es erforderlich, dass man sowieso sich ein wenig festlegt. Ich habe mir gedacht, dass ich den Nationalsozialismus eher etwas später in meinem Leben behandeln möchte. Zwar habe ich das schon und auch bei Heinrich August Winkler, einem sehr vernünftigen und verständlichen deutschen Historiker, einiges über ihn gelesen, doch will ich eben zu einem späteren Zeitpunkt in meinem Leben in diese Materie noch tiefgründiger hinabtauchen.
Momentan interessieren mich die Anfänge des Menschen, des Denkens, so die griechische Antike und die Anfänge der Geschichtsschreibung. Ich lese quer durch die Geschichte der Philosophie und durch bei den Geschichtswissenschaften selbst setze ich mich momentan auch mit der Antike auseinander - ein paar Bücher zu den Griechen, sowie zu den Römern sind schon angefangen und rutschten angesichts der Ukrainekrise wieder ins Abseits.
Eine Gesamtbetrachtung, der nicht immer glänzenden Geschichte des Westens, an der durchaus berechtigte Kritik geübt werden kann - also nicht so eine wirre Propaganda, wie Putin sie macht -, hole ich ein, indem ich "die Unterwerfung der Welt" von Wolfgang Reinhard lese. Da es ein epochales Mammutwerk ist, lese ich es bereits seit einem halben Jahr und habe erst ein Fünftel zurückgelegt. Es ist aber wirklich aufschlußreich, wie es die Zusammenhänge der Expansion des Westens, die Eroberungen Europas abhandelt. Vielleicht werfen Sie einen Blick darauf. Es ist vergleichbar mit der Globalgeschichte, die hier in der wbg erhältlich ist, mit dem besonderen Augenmerk der Entwicklung des Kapitalismus und der dazu gehörenden Handelswege, wie leider auch Wege der Kolonisation und eben Unterwerfung der restlichen Länder, Nationen, vor allem aber Völker und Reiche, deren Auswirkungen auch unsere Gegenwart bestimmen. Sehr interessant.
Ich wünsche Ihnen eine ruhige Lesezeit und viel Vergnügen bei der Beschäftigung mit ihren Büchern. Und das trotz der momentanen Ungewissheit und erschreckenden Leichtfertigkeit mit der Lawrow seine Atomkriegsdrohungen ausspricht.
Schöne Abend
Marcin Lupa