Als drittes und letztes Buch zur Kultur im Dritten Reich möchte ich das Buch von Jost Hermand vorstellen, welcher 1930 in Kassel geboren wurde und mit zehn Jahren die Kinderlandverschickung des NS selbst miterlebte, bei der Kinder infolge der Luftangriffe in die östlich-besetzten Gebiete geschickt wurden. Im Oktober letzten Jahres starb er mit 91 Jahren.
Mit seinem Buchtitel „Kultur in finsteren Zeiten. Nazifaschismus, Innere Emigration, Exil.“ (2010) hat er einen ziemlich plakativen Titel benutzt, der so gar nicht zum Buch passt, denn: Ich glaube, dass ich noch nie so einen nüchternen Stil gelesen habe, wenn es um so ein brenzliges Thema ging.
Im Vorwort bereits hat mich das Buch gepackt: Er beschreibt dort den Bedeutungswandel des Kulturbegriffs. Damals war Kultur Altbewährtes und Traditionelles, heutzutage ist alles Kultur, gleichgültig ob „Badekultur“ oder „Freizeitkultur“. Dass dies in einem Sinnverlust und Dekadenz endet, muss hier nicht erläutert werden. Einer Dekadenz in diesem Sinne wollte auch Hitler entgegenwirken, indem er der „NS-Kultur“ (s. Rezension zu Moritz Föllmer) eine „höhere Weihe“ verleihen wollte. Dafür wurden verschiedene Ziele proklamiert, die jedoch im NS-Lager selbst auseinanderdrifteten. Die Protagonisten Rosenberg und Himmler waren hier auf utopistische Fernziele bedacht, die allerdings sofort durchgesetzt werden sollten. Als Beispiel kann hier die „arische Blutsgemeinschaft“ herangezogen werden, die durch Zwangssterilisation und Euthanasie nochmals aufgewertet werden sollte. Im Gegensatz dazu stand der Pragmatiker Goebbels mit seinen Nahzielen. Bei den Feindzielen bestand jedoch Einigkeit: Modernistisch-Internationalistisches, Konstruktivistisches, Abstraktes; Nichtgermanisches; alles Linke und Kommunistische. Diese Feindziele spiegelten sich in allen Künsten wider: Architektur, Malerei und Skulptur, Musik, Literatur, Theater, Rundfunk, Film und Presse.
In der Musik bspw. wurde Wert auf die „deutsche“ Weltgeltung gelegt: Haydn, Bach, Mozart oder Beethoven. In der Malerei und Skulptur wurde Wert auf Heroisches gelegt wie z.B. antike Skulpturen um Perseus oder Prometheus. Diese Figuren wurden überdies ‚brutalisiert‘ und kriegerisch dargestellt. Für Hitler hieß es: „Deutsch sein, heißt klar sein“, womit er einen Realismus forcierte. Allerdings war es so, dass das Bild hier brüchig wurde: anfangs gehörte Kunst „jedem“, je sicherer jedoch das Regime im Umgang mit dem Volk wurde, desto ambivalenter das Verhalten. So gab es später z.B. ein Abdriften in idealisierende Kunst. In der Architektur indes legte man Wert auf Ästhetik, die äußerlich imponierend wirken sollte, d.h. „klobig-klassizistisch“/ „würdevolle Schlichtheit“, womit das Ganze in Megalomanie ausartete („höher, weiter, besser“). Städteplanungen wie das Ziel einer neuen ästhetischen Hauptstadt wurden durch den Krieg jedoch konterkariert. Im Rundfunk gab es zunächst eine Einschränkung der Musik zu Gunsten von Reden, Propaganda und Würdigung von Personen, was allerdings schnell wieder eingestellt bzw. eingedämmt wurde. Im Herbst 33 gab es schon wieder mehr Unterhaltungssendungen, da „Gesinnung nicht belehrend“ sein sollte. Ein erwähnenswerter Fakt ist die Beliebtheit des Rundfunks. Von 1932 mit 4 Millionen Empfängern auf 16 Millionen im Jahre 1942. Mit dem Eintreten der Kriegsniederlage 43 gab es wesentlich optimistischere Musik zu hören.
Der NS musste das gespaltene deutsche Volk nach der Weimarer Republik wieder einen, zumal die äußerst disparaten Kulturvorstellungen der drei Schichten. Dabei erweist sich die spannungsbeladene Ideologie bei näherem Hinschauen als ein ergiebiges, kohärentes Konzept, um alle einzufangen.
Die innere Migration (dieses Kapitel ist mit 32 Seiten sehr kurz) verlief sich zwischen Widerwillen und Anpassung, da es immer ein Changieren zwischen ‚sagbar‘ und ‚unsagbar‘ gab. Wollte man es riskieren, Kritik zu üben? Lohnte es sich? Die Literatur war im Gesamtkontext des 3. Reiches marginal, wobei auffällt, dass sich viele anbandelten und nur auf traditionelle Themen auswichen. In der Malerei und Skulptur-Branche tauchten viele anonym unter, wodurch sie Schwierigkeiten hatten, zu überleben. Generell lässt sich konstatieren, dass sich keine Gegenkultur entwickelte, sondern ein eher hilfloses Nebeneinander.
„Das Exil“ war weit aufgestellt, denn es gab eine weitgehende Zersplitterung der Exilanten. Nicht bloß Juden oder Linke, sondern auch Sozialdemokraten oder modernistische Künstler flohen. Die Flucht erfolgte meist in exotische Länder, was ihnen ein Gefühl der Fremdheit hervorrief. Dieses war zudem mit Angst und Gefahr verbunden: Auch in anderen Ländern herrschten rechtsradikale Tendenzen vor, zudem die befristeten Visa. Die Wirkungsmöglichkeiten waren mit enormen Schwierigkeiten verbunden wie auch die rechtsradikalen Tendenzen Österreich Anfang der 30er Jahre belegen, bis zum Einmarsch dt. Truppen im Jahre 38. Daher hatten Theater, Musik und Film weniger Chancen, Wirkung zu entfachen. Vielmehr war es die Literatur, die die Möglichkeit hatte, ein Gegenbild von Nazi-Deutschland zu entwickeln. Generell aber erwies sich die Appeasement-Politik vieler Exilländer als schwerwiegendes Problem.
Persönlich empfand ich das Buch als das Beste von den dreien, die ich zur Kultur vorgestellt habe. Vom Schreibstil her fand ich es sehr angenehm und vor allem rational – im Vergleich zu Kater; und trotz des Umstandes, dass er unter dem NS gelebt hat. Der einzige Kritikpunkt meinerseits ist, dass es keine Fußnoten gab – das mag aber den einen oder anderen nicht stören. Wenn man sich jedoch im Seminarkontext mit so einem Buch befasst und gerne weiterlesen will oder Zitate prüfen will, ist das ungünstig. Summa summarum trotzdem sehr empfehlenswert und mein Favorit.
Hallo Frau Jung, ich danke Ihnen für den netten Beitrag und freue mich, dass die Rezension Ihre Sicht erweitert. Im Rahmen meines Seminars muss(te) ich 10 Bücher für meine Prüfung lesen und den Inhalt kennen, da trifft es sich ganz gut, Rezensionen zu verfassen, damit sich der Inhalt weiter festigt und man evtl. mit anderen in den Austausch treten kann.
Wenn man autobiographische Zeugnisse liest, dann erfährt man sicherlich mehr oder spezieller über die Lage, in der sich einzelne Personen befanden. Das habe ich bisher so noch nicht getan, werde es aber in naher Zukunft nachholen. Ich kann mir vorstellen, dass so etwas einen sehr mitnimmt. Vielleicht können Sie da etwas zu berichten?
Ich habe mich noch intensiver mit dem Volkskörper im Krieg und der Medizin (Eugenik usw.) befasst; da grausts es einem, wenn man Selbstzeugnisse liest, aber auch schon 'normale' Literatur bzw. Sekundärliteratur, wenn detailreich von den Ereignissen berichtet wird. In 1-2 Wochen werde ich dazu auch noch 2 Bücher vorstellen, die sich sehr lohnenswert mit der Thematik auseinandersetzen und die etwas 'gröber' gehalten sind. Allzu tiefe Forschungsliteratur ist denke ich eher weniger interessant.