Brauchen wir eine NEUE MORAL ?
Rüdiger E. Böhle
Es geht gegenwärtig so Manches durcheinander in unserem Staate:
# Da trickst eine Autoindustrie (Diesel-Gate): „ohne Bescheißen geht das nicht!“
# Im Bankenbereich funktioniert ein Steuerhinterziehungssystem: cum-ex.
# Institutionen, Banken, Firmen werden gehackt; Finanzmittel geraubt; Daten abgeschöpft und algorithmisch aufgearbeitet – wider alle Gesetze des Datenschutzes: Wissen ist Macht!
# Die Anonymität im Internet eröffnet ein weites Feld der Menschen-Verachtung.
# Aggressionen, Schmähungen, Drohungen, Angriffe gegen Politiker (Diaby, Lübke, Künast, Reker und andere Bürgermeister …) ebenso gegen Polizei, Feuerwehr und Rettungspersonal bei Unfällen gehört schon fast zur Normalität.
# Es ereignen sich Attacken gegen beliebige Menschen – einfach mal so, weil irgendeine Ideologie irgendwelche Menschen zu Untermenschen deklariert, deren Beseitigung eine ideologische oder gläubige Pflicht erfüllt.
In den sozialen Foren tobt die Lust an der Schmähung und Erniedrigung Anderer – einfach mal so; an Mobbing und Morddrohungen – samt anschließender Tat; an Haß und Hetze; Fremdenfeindlichkeit und Rassismus; an abstrusesten Ansichten und Verschwörungskonstrukten – bis hin zur Mordbrennerei: Hanau, NSU, Hoyerswerda … Ein besonderes Feld der Dämonisierung: Fundamentalismus jeder Couleur.
Angesichts dieser Vorkommnisse zeigt die Politik und die staatlichen Institutionen sich weitgehend ratlos und agieren stets mit der Phrase der rechtlichen und polizei-technischen Aufrüstung: ein virulenter Sachgehalt wird nicht ‚von Grunde auf‘ bedacht, sondern per Gewalt ‚unterm Deckel gehalten‘!
Die Beispiele mögen hinreichend anzeigen, daß da z.Zt. etwas ‚aus dem Ruder läuft‘.
Ist es nicht eine Bankrott-Erklärung des Staates, wenn der Staat seine Polizei bei Demonstrationen nur noch in Kampfanzügen samt Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse auftreten läßt, und dennoch den Mob, vorzüglich „der schwarze Block“, nur marginal an seinen Exzessen stören kann?
Wenn das Gewaltmonopole des Staates nicht mehr dazu dient, im Notfalle dem Bedenken einer akuten Dissonanz einen Zeitgewinn zu verschaffen für ein Bedenken der Sache, sondern zur Normalität der Gewaltauseinandersetzung degeneriert, dann „ist etwas faul im Staate!“ – Im Staate und seinen Institutionen ist etwas faul: In seiner Regierung, in seinem Parlament, in seiner Gesetzgebung, in seinen Institutionen – bis hin zu seiner gemeinen Verwaltung: dem Ort, Gesetze konkret umzusetzen! – „Der Fisch“, trällert eine alte Weisheit, „stinkt vom Kopfe her!“
Alle Errungenschaften der Destruktion moralischer Normen seit den sogenannten 68ern scheinen gegenwärtig in ihr Gegenteil umzuschlagen: die unbekümmerte Freizügigkeit mutiert peu à peu zur Spielwiese für Desperado-Attitüden.
Es ist zwar ein alter und ziemlich abgetragener Hut, aber in solchen Situationen wittern die Moralisten mal wieder Morgenluft! Ihrer selbst gewiß, erhebt die Moral ihr gorgonisches Haupt und fordert den lang vermißten Respekt ein – nach alter Väter Sitte: als ob je Moral ein Problemlöser und ein Weltenretter gewesen wäre! – Die Geschichte erzählt uns das kontradiktorische Gegenteil!
Erinnern wir uns an den Melier-Dialog: das demokratische und humanistische Athen, der Nabel der kulturellen Welt, droht offen mit dem Genozid – und führt ihn dann auch durch! – die Melier weigerten sich, weiterhin den Tribut für den Attischen Seebund zu zahlen: Athen, die Demokratie des Einen Mannes und Hort von Kunst und Wissenschaft verbaute für sein Prestige-Objekt „Akropolis“ die Gelder dieses Militärbündnisses!
„O tempora, O mores!“ deklamierte einstens Cicero emphatisch – und zwang Verres, einen römischen Vorläufer von Trump, ins Exil – ohne dessen korrupt im Amte erworbenes Vermögen für den Staat konfiszieren zu könne.
Auch einen Catilina brachte die ciceronische Moralpredigt zu Fall.
Doch wenige Jahre später zerfiel der moralische Aufschrei des Cicero zur Nichtigkeit: Caesar, ein brillanter Dialektiker, instrumentalisiert die römische Virtus zum Zwecke des Staatsstreiches, indem er das Ideal der römischen Moral, das Streben nach dem „imperium“ , perfekt befolgte: „lieber in diesem Bergdorfe der Erste als in Rom der Zweite!“ In einem gottverlassenen Nest in den See-Alpen und nicht erst am Rubikon ereignete sich „alea iacta est!“: Die Konsequenzen erzählt uns die römische Kaiser-Geschichte!
Frage: Was hat diese Anmerkung aus einer fernen Geschichte her mit uns zu tun? mit der aktuellen Verunsicherung und dem Ansinnen einer Rückbesinnung auf Moral – als Antwort auf virulente Dissonanzen im Umgange miteinander?
Nun ja: wir sind mitten in der Moral und mitten drin in der ewiger Problematik – von GUT und BÖSE !
Mitten drin in dem ewigen Bemühen der Ethik, wegen akuter Dissonanzen eine funktionstüchtige Moral zu konzipieren; und immer wieder an dieser Aufgabe kläglich zu scheitern. – Obwohl schon ein oberflächlicher Blick in die Geschichte offenbart: seit Jahrtausenden ist Moral geradezu beliebig volatil – und ohne ‚realen‘ Erfolg!
# Herodotos (490-420 ac) eruierte Solches schon vor 2500 Jahren!
# Hegel (1770-1831): „Moral und alle moralische Weltanschauung ist nichts Anderes als ein ganzes Nest gedankenloser Widersprüche!“
# Religion, Mythos, Kunst, Literatur, Theater bringen die Crux der Moral in dramatischen Gestalten zur Sprache; Philosophie in der Klarheit der Logik: Jedoch bis heute nur marginal, wenn überhaupt, wirksam.
# In der Moderne eruptierte nach 1918 der Anspruch auf eine Neue Moral und resultierte in das Chaos der 20er Jahre – samt allbekannten Konsequenzen!
# Die 68er fegten eine marode Moral hinweg; legendär: Woodstock und Hippie! – Bei uns allerdings auch das kontradiktorische Gegenteil: der Terror der RAF !
# Seit über 50 Jahren bemüht sich eine Ethik-Diskussion – ohne jede Verbindlichkeit! Dafür breitet sich eine unüberschaubare und in sich desolate Gemengelage aus: ein Sammelsurium des moralischen – Meinens.
Von Zeit zu Zeit küren die Medien einen Hype:
1984: Prinzip der Verantwortung (Jonas)
1990: Welt-Ethos (Küng)
1996: Clash of Civilizations (Huntington)
2009: der Versuch einer Reanimation des AT-Dekaloges (Käsmann)
Der aktuell und medial virulenteste Moral-Hype: Martha Nußbaum !
2010 erschien eine Geschichte der Ethik: 3 Bde, ~ 3 000 S. (Terence Irwin)
Alle diese Moral-Konzeptionen entspringen der naiven Annahme, die fundamentalen Differenzen der Kulturen, des Glaubens, der Individuen und ihrer Subjektivität lassen sich per Empathie, gutem Willen und uralten Weisheiten ‚hinwegvernünftelt‘.
Gäbe es diese Leichtigkeit der Empathie, des guten Willens und der Weisheit – dann gäbe es erst gar nicht die Probleme, derentwegen Empathie, guter Wille und Weisheit als probate Lösungsmittel avisiert werden!
Der „Empathie“ können wir zustimmen: Fundament des Miteinander! Beim „guten Willen“ sieht’s dagegen ganz anders aus!
Frage: Was ist – ein guter Wille ?
Antwort: ein weites Feld der Stolpersteine, Fallstricke und Fallgruben samt Selbstschußanlagen …: IS, Al-Kaida, Al-Shabaab; Reichsbürger, Neo-Nazi … verstehen den „guten Willen“ jeweils anders; kontradiktorisch anders als wir !
Und dann gibt es da ja auch noch die Weisheit ! Sie plappert seit eh und je ‚ganz vernünftige‘ Sätze – doch immer nur im Rückblicke auf längst vergangene Zeiten ! Daher trifft eine Weisheit, begründet in der Erfahrung aus uralten Zeiten, auch ganz richtig auf einen aktuell problematischen Sachgehalt gerade nicht zu !
Resumé: Die Erfahrung lehrt – Nietzsche zeigt die Logik dazu auf – „daß nie eine Moral die Menschen sittlicher und besser machen – kann ! … Moralisten vergessen, daß Moral predigen ebenso leicht ist wie Moral zu begründen schwer !“
Lassen wir uns kurz auf die skeptische Frage ein: könnte Moral etwas verhindern?
# Cum-Ex-Geschäfte: Hier wurde – ganz bewußt – gelogen und betrogen!
# Diesel-Gate: „ohne Bescheißen geht hier gar nichts!“ (BMW-Vorstand)
# Migranten-Problem: Die Menge, das Handeln und Verhalten der Migranten evoziert eine Konfrontation der Kulturen und ihrer Sittlichkeiten – und bewirkt das Empfinden nicht nur von fremd, sondern von Überfremdung. Solches löst emotionale Abwehrreaktionen aus bis hin zu Verachtung und Haß.
# Haß, Hetze, Mobbing, Bedrohung etc. in den sozialen Foren: Wer anonym seiner Aggression freien Lauf läßt, intendiert bewußt – und wohl kalkulierend, Andere zu beschimpfen, zu erniedrigen, zu verunsichern, zu bedrohen und in Angst zu versetzen. Die Anonymität gewährt Verantwortungslosigkeit, der Ort all derer, denen eine Minderwertigkeit ihrer selbst das eigene Selbstverständnis fundiert.
Frage: Was soll hier Moral auf die Reihe bringen können? – Moral à la Weizsäcker, Jonas, Küng, Käsmann, Nußbaum ?
Cum-Ex-Geschäfte und Diesel-Gate sind Resultat der Moral „Erfolg“; moralisch betrifft daher die Akteure nur die Verletzung des hyper-moralischen Gebotes: laß Dich nicht erwischen!
Wem die Migranten die Vorstellung von Überfremdung wecken, dem ist mit der moralischen Forderung nach Weltoffenheit, Weisheit, Verantwortung und Toleranz die tief sitzende Emotion der Ablehnung nicht hinweg zu menscheln! Ein moralisch derart verfaßtes Bewußtsein bringt keine Moral, – die z.B. mit unserem GG vereinbar wäre, – ‚zur Vernunft‘ !
Wer Hetze, Haß, Mobbing, Drohungen etc. in den sozialen Foren verbreitet, wird den moralischen Hinweis auf Verantwortung, Humanität, Vernunft etc. nur hämisch abtun – und sich ‚voll bestätigt‘ empfinden: gemäß SEINER Moral !
Anmerkung: Gegen die Moral ERFOLG; gegen die Moral FREMDENHASS; gegen die Moral der FUNDAMENTALISTEN setzen wir unsere Moral der FREIHEIT und der HUMANITÄT; genauer: unsere Moral des freizügigen, unbekümmerten Umganges !
Wir setzten eine Moral gegen eine andere Moral; aber immer doch: eine Moral!
In Anlehnung an Nietzsche gesprochen: ihr behauptet, „die Moral der FREIHEIT und der HUMANITÄT sei eine höhere, eine bessere Moral als die Moral ERFOLG, FRENDENHASS, FUNDAMENTALISMUS. – Also: beweist es auch !“
Nietzsche fügt süffisant den Hinweis auf die Logik der Sache hinzu: „daß über HÖHER und NIEDRIGER in der Moral nicht wiederum nach MORALISCHEN ELLEN abgemessen werde. Es gibt keine absolute Moral ! Nehmt also eure Maßstäbe anderswo her – und nun seht euch vor !“
Stellen wir die Frage nach einer NEUEN Moral also ‚grundlegender‘:
Wollen wir hier bei uns vor Ort, in unserer Alltäglichkeit des freizügigen und so ganz selbstverständlich unbekümmerten Umganges miteinander, wieder eine Moral in Geltung setzen, versehen mit einem Konzept von Gut und Böse? – Und versehen mit absolutem Anspruche auf Geltung?
Wollen wir hier bei uns vor Ort, einer solchen Moral wieder unser Handeln und Verhalten, unsere Denkweise und unser Urteilsvermögen subsumieren?
Wollen wir hier bei uns vor Ort, das Leben in der Sozialität, im Alltage wie im Besonderen nach dem Maße einer moralischen Vorstellungen organisieren?
Wollen wir hier bei uns vor Ort, gemäß moralischer Werte und gemäß deren Hierarchie uns wieder ‚werten‘ lassen?
Können wir ‚vernünftiger Weise‘ eine NEUE Moral wollen können? – Eine Moral so ganz im Gegensatze zu unserer gegenwärtig so freizügigen und so unbekümmerten Art und Weise uns zu verhalten und zu leben?
Können wir so etwas ‚vernünftiger Weise‘ wollen können?
Vernunft und Moral – wie paßt das zusammen?
Bedenken wir die Varianten der Moral von der Logik der Sache her, so können wir die Moral definieren als eine Regelkonzeption des sozialen Umganges; real aber: eine – mehr oder weniger diffuse – Ansammlung von Verdikten, die festlegen, was GUT und was BÖSE ist und wie die Menschen leben SOLLEN !
Die Moral terminiert daher ganz richtig die Verdikte, welche das TUN UND LASSEN der Menschen PRINZIPIELL bestimmen, damit im Handeln und Verhalten der Menschen auch das WIRD, was gemäß der Moral sein SOLL !
Nietzsche formuliert umgangssprachlich prägnant, was Moral fordert: „lebe als Mensch und nicht als Affe oder Seehund !“ Und fügt süffisant hinzu: „Dieser Imperativ ist leider so unbrauchbar wie kraftlos, weil unter dem Begriffe MENSCH das Mannigfaltigste wie das Verschiedenste und das Widersprüchlichste – im Joche geht !“
Das Problem von GUT und BÖSE: wer terminiert und was begründet „gut / böse“ ?
Jede Moral terminiert, was gut ist und was böse ist.
Jede Moral begründet, was gut ist und was böse ist – mit sich selbst !
Résumé: Was gut und was böse ist, ist so vielfärbig wie die Moral !
Zusatzfaktor: die subjektive Empfindung !
Das Problem der Verbindlichkeit: das „sollen“ zu einem „wollen“ mutieren!
Bis dato setzte noch jede Moral die Verbindlichkeit ihrer Verdikte per Macht, Gewalt und Strafe durch – und anerkannte somit die Subjektivität als höchste und letzte Instanz in der jeweiligen konkreten Situation.
Das „sollen“ per Macht, Gewalt, Strafe zu einem „wollen“ zu bewirken, offenbart, die Hilflosigkeit der Moral, den Anspruch auf Verbindlichkeit einzulösen! – ‚absolut‘ gilt immer nur: das 11. Gebot !
Moral kann dann und nur dann ihren Anspruch auf Verbindlichkeit einlösen, wenn die Subjektivität gar nichts anderes wollen könne kann, als die Verdikte stringent zu befolgen und Sinn und Zweck der Moral in concreto einzulösen!
Nun ja: dann wär’s aber gerade keine Moral mehr!
Das Problem MENSCH: gemeinhin gilt der Mensch als „Geistiges Lebewesen“. Würde der Moralist den Menschen qua „geistiges Lebewesen“ anerkennen, müßte er – innerlogisch stringent – so demütig wie beschämt schweigen.
Der Mensch qua „geistiges Lebewesen“ anerkennen, resultiert in einen gemeinhin verständlichen Begriff des Menschen, wie ihn schon Aristoteles und später Kant in der Ethik ‚zur Sprache bringen‘: Mensch = Ursprung seiner selbst ! – autonom !
Aristoteles: Der Mensch qua „geistigem Lebewesen“ entspringt, bezweckt und vollendet sich in der Eudaimonia:
# „daimon“ ~ Geist, Denkvermögen,
# „eu“ ~ gut, vollendet
# Eudaimonia ~ das Bewußtsein, selbstbestimmt zu leben.
# Eudaimonia ~ das ‚aus sich selbst her – oder autonom – sich zu sich selbst bestimmende und gestaltete‘ Leben des Geistes! Und also: Das Leben, das, aus sich selbst her sich bestimmend, sich zu dem Leben gestaltet, das es an und für sich ist und sein will !
Kant: bringt Aristoteles ‚auf den Begriff‘: Der Mensch ist Zweck an sich selbst !
Hier hat Moral, dieses subjektiv konditionierte Chamäleon, keinen Ort !
Hier ist die Arbeit des Geistes, das Denken – auf der Stufe von Erkennen – gefordert!
Hier setzt die Logik das Maß aller Dinge!
Protagoras (490-411 ac): Der Mensch / der Logos ist das Maß aller Dinge!
Aristoteles zeigt die Logik der Eudaimonia auf: conditio sine qua non, daß der Mensch das Leben, das er an und für sich ist, aus sich selbst her sich bestimmt und im konkreten Handeln und Verhalten auch zu SEINEM Leben gestalten kann, ist, daß der soziale Kontext, und also die Institution „Polis“, die materiellen wie ideellen Ressourcen bereitstellt, um den individuellen Bedarf an diesen sich zu erwerben:
Materielle Not und mangelnde Bildung verhindern eo ipso die Eudaimonia !
Kant fügt der Logik der Eudaimonia die Logik der Grundlegung der materiellen und ideellen Ressourcen hinzu: die Verantwortung !
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Saper aude! Habe den Mut, dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!"
Die Erkenntnis, daß der Mensch „Zweck an sich selbst“ ist, und die Erkenntnis, daß der Mensch dann und nur dann ‚wirklich‘ Mensch oder ‚geistiges Lebewesen‘ ist, wenn er „sich seines eigenen Verstandes bedient“; – diese beiden fundamentalen Erkenntnisse des Menschen in Eines gedacht – resultiert: zur Verantwortung.
Die Logik der Verantwortung terminiert das Kriterium für alles Handeln und Verhalten des Menschen, wenn er denn Mensch sein können will – auf der Stufe des Begriffes !
Epilog: Der kategorische Imperativ
Formulierungen des Kategorischen Imperatives:
1. Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die Du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werden. (AA IV, 421)
2. Handle so, als ob die Maxime Deiner Handlung durch Deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte. (AA IV, 421)
3. Handle so, daß Du die Menschheit sowohl in Deiner Person als in der Person eines jeden Anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest. (AA IV, 429)
Der kategorische Imperativ ist die – innerlogisch stringente – Konsequenz der Verantwortung des Menschen !
Der kategorische Imperativ ist die – innerlogisch stringente – Konsequenz, daß der Mensch ein geistiges Lebewesen und darum Zweck an sich selbst ist !
Der kategorische Imperativ gilt – innerlogisch stringent – dann und nur dann, wenn der Mensch ‚wirklich‘ das sein können will, was er an und für sich ist !
Biologisch ist der Mensch von Geburt an Mensch; ein kontradiktorisch Anderes aber ist es, ob dieser ‚biologische‘ Mensch auch Mensch ‚auf der Stufe seines Geistes‘ ist.
Der kategorische Imperativ ist die – innerlogisch stringente – Anforderung an die Arbeit des Geistes, im Anblicke eines problematischen Sachgehaltes das Bedenken in kritischer Distanz – insbesondere gegenüber sich selbst – in concreto zu leisten !
Der kategorische Imperativ ist die – innerlogisch stringente – Erkenntnisforderung !
Der kategorische Imperativ ist KEINE Handlungs- / KEINE Verhaltens-Anweisung !
Der kategorische Imperativ ist KEINE Moral !
Es sei ausdrücklich wiederholt: Der kategorische Imperativ gilt – innerlogisch stringent – dann und nur dann, wenn der Mensch ‚wirklich‘ das sein können will, was er an und für sich ist: Mensch ! – Und also als GEISTIGES Lebewesen!
Wenn ein Mensch nicht ‚Mensch‘ sein will, und also NICHT ‚ein geistiges Lebewesen‘ und auch NICHT ‚Zweck an sich selbst‘, dann ist sowohl die Eudaimonia eines Aristoteles wie auch der Kategorische Imperativ eines Kant – noch nicht einmal „Schall und Rauch“ und schon gar nicht ein Sprachlaut oder ein Wort !
Wenn aber ein Mensch ‚wirklich‘ Mensch sein können will, und also „ein geistiges Lebewesen“ und darum „Zweck an sich selbst“, dann will er auch „Verantwortung“ sein können – in seinem Handeln und Verhalten !
Solches jedoch in realitate: pure Illusion !
Sehr geehrter Herr Böhle,
vielen Dank für Ihre ausführlichen Antworten. Ich muss feststellen, dass Ich einige Dinge wohl so ausgedrückt habe, dass Sie es als einen Angriff auf Ihre Darlegungen verstanden haben. Ich bitte dies zu entschuldigen, es war nicht meine Intention.
Der Fehler war insofern meiner, als dass ich einen pessimistischen Unterton bei Ihnen gelesen habe, den Sie anscheinend nicht intendiert hatten. Wie gesagt, das ist allein mein Fehler.
Meine Ausdrucksweise scheint Sie persönlich angegriffen zu haben. Auch dafür bitte ich um Entschuldigung, ich habe nichts davon Sie persönlich anzugreifen und es widerspricht auch meiner Art. Tatsächlich wollte ich Hoffnung in Moral wecken. Dabei glaube ich, dass Sie meinen Ton missverstanden haben, denn ein Angriff lag mir fern. Ich denke, dass wir uns in unserem Begriff von Moral unterscheiden und möchte deswegen einen Ölzweig der Verständigung reichen, da ich ganz offenbar große Verständnislücken habe, wobei ich mir erhoffe, dass Sie mir helfen können sie zu füllen.Was mein Wissen um die von Ihnen benannten Texte angeht. Tut mir leid, vielleicht habe ich sie nicht im ausreichenden Maß verstanden. Es ist leider eine ganze Weile her, seit ich mich tiefergehend damit beschäftigt habe und im Eifer des Gefechtes müssen meine Darlegungen gelitten haben. Ich will hier nur ein paar Ihrer Ausführungen aufgreifen, um Missverständnisse zwischen Ihnen und mir zu beseitigen.
Daher möchte ich zuerst mein Verständnis des Moralbegriffes darstellen:
Eine Ihrer Ausführungen müssten Sie mir dazu bitte genauer erläutern, da ich nicht verstehe was sie meinen, in Bezug auf den Kategorischen Imperativ.
"Hier hat Moral keinen Ort, sondern Verantwortung für das und vor dem Leben überhaupt und der Sozialität im Besonderen. So und nur so hat der Mensch oder der Zweck an sich selbst einen vergewisserten Ort. "
Ich verstehe nun Moral als ein vorhandenes Verhalten in einer Gemeinschaft. Sie ist in gewisser Weise ein Katalog von Norm- und Wertvorstellungen. Wieso hat da Verantwortung keinen Platz?
Und Sozialität gibt dem Menschen doch eine Orientierung für sein Verhalten. Also, wenn Moral Normen und Wertvorstellungen umfasst, die Teil einer Sozialität sind, wieso hat sie dann da keinen Platz?
Das Gesetze Kategorische Imperative sind, war von mir falsch formuliert. Das Strafrecht ist nach Kant ein kategorischer Imperativ.
Für Kant ist es doch so, dass die Dinge um ihrer selbst Willen, nicht aber zu einem anderen Zwecke geschehen, also auch das Strafrecht und die damit verbundene Gesetzgebung:
„Richterliche Strafe […] kann niemals bloß als Mittel, ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wieder ihn verhängt werden, weil er verbochen hat; denn der Mensch kann nie bloß Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborne Persönlichkeit schützt, ob er gleich die bürgerliche einbüßen gar wohl verurteilt werden kann. […] Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ, und, wehe dem! Welcher die Schlangenwindungen der Glückseligkeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durch den Vorteil, den es verspricht, ihn von der Strafe, oder auch nur einem Grade derselben entbinde, anch dem pharisäischen Wahlspruch: „es ist besser daß ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe“; denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben.“ (MdS: 3,I vom Straf- und Begnadigungsrecht)
Ist das nicht die Bedeutung von fiat iustitia et pereat mundus?
Dann hätte ich gerne noch eine Erklärung für Kants folgendes Inselbeispiel, indem er die Gleichheit der Strafe mit der begangenen Tat gleichsetzt. „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflöste […] müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat; weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“ (ebd.)
Dann sagten Sie: ##### der kategorischer Imperativ, der Kompass der Moral
Der kategorische Imperativ und die Moral schließen einander kontradiktorisch aus!
Haben Sie den kategorischen Imperativ und seine Genesis gelesen?
Seine drei wesentlichen Formulierungen und deren, von Kant hervorgehobene, Identität? Insbesondere die subtile dritte Formulierung?
Darf ich fragen, wieso Kant ihn dann als rein moralisches Gesetz bezeichnet? (vgl. z. B. KrV A 807 / B 835)
Auch der Begriff des Kompaß der Moral wird von Kant in der GMS gestützt, eben um den Willen rein, also frei von Neigung und Erfahrung, zu halten: "Es wäre hier leicht zu zeigen, wie sie [die gemeine Menschenvernunft] mit diesem Kompassen in der Hand in allen vorkommenden Fällen sehr gut Bescheid wisse, zu unterscheiden, was gut, was böse, pflichtmäßig und pflichtwidrig sei, wenn man, ohne sie im mindesten etwas Neues zu lehren, sie nur, wie Sokrates tat, auf ihr eigenes Prinzip aufmerksam macht, und daß es so also keiner Wissenschaft und Philosophie bedürfe, um zu wissen, was man zu tun habe, um ehrlich und ut, ja sogar um weise und tugendhaft zu sein." (GMS: 404)
Doch zurück zur Metaphysik der Sitten
Natürlich ist zu erwähnen, dass Kant durchaus darstellt, dass bestehende Gesetze fehlerhaft sind und dass ein Souverän sich dazu verpflichtet sehen muss, diese zu ändern und anzupassen (mitunter auch deswegen, weil nur er das Recht dazu hat). Dies tut er insofern er die Gesetze im Sinne eines Reiches der Zwecke anordnet und neue Verhältnisse schafft, in der die Rechts- und Tugendlehre sich nicht mehr widersprechen.
##### Eichmann und der kategorische Imperativ
Worauf jemand sich beruft, belegt nicht das Wahre dieses Sachgehaltes!
Oben fragte ich noch, ob Sie GMS, MS, KprV, gelesen hätten; spezifisch den kategorischen Imperativ. Was Sie jedoch über den kategorischen Imperativ im Zusammenhange mit Eichmann sagen, offenbart, daß Sie weder GMS, noch MS, noch KprV noch den kategorischen Imperativ gelesen haben; geschweige denn bedacht oder gar begriffen!
Wo hat Eichmann in seiner Pflichterfüllung die conditio sine qua non des kategorischen Imperatives, der Mensch ist Zweck an sich selbst, eingelöst?
Bitte verzeihen Sie mir, aber ich empfinde diesen Vorwurf als ungerecht und glaube, dass Sie dieses mal mich falsch verstanden haben. Denn wie ich gerade zu Kant ausführte, muss sich ein Souverän ja bewusst sein, dass Gesetze aktualisiert werden müssen, also einer Veränderung unterliegen, wenn sie allgemeine Gültigkeit beanspruchen wollen.
Ich habe nie behauptet, dass Eichmann die „Wahrheit des Sachgehaltes“ benannt hätte, sofern darin eine Wahrheit und nicht einfach nur eine Richtigkeit besteht. Ich habe gesagt, dass es für jeden Eichmann eine Person gibt, die den KI so anwendet, wie er von Kant gedacht war. Die Idee Eichmanns war, sich mit fadenscheinigen Darlegungen des KIs rauszureden:
>>„Zur Norm habe ich die Kant'sche Forderung erhoben, und zwar schon sehr lange. Nach dieser Forderung habe ich mein Leben ausgerichtet […] Aus dieser Einstellung heraus tat ich reinen Gewissens und gläubigen Herzens meine mir befohlene Pflicht.“[...]
Richter Raveh interviewte Eichmann daraufhin.
„Auf weitere Befragung fügte er hinzu, dass er Kants Kritik de rpraktischen Vernunft gelesen habe. Weiter erklärte er, dass er in dem Augenblick, als er mit den Maßnahmen zur „Endlösung“ beauftragtz wurde, aufgehört habe, nach kantischen Prinzipien zu leben, er habe das gewusst und habe sich mit dem Gedanken getröstet, nicht länger „Herr über sich selbst“ gewesen zu sein - „ändern konnte ich nichts“. Was er dem Gericht darzulegen unterließ, war, dass er in jener „Zeit […] der von Staats wegen legalisierten Verbrechen“m, wie er sie jetzt selber nannte, die kantische Formel nicht einfach als überholt beiseite getan hat, sondern dass er sie sich vielmehr so zurechtbog, bis sie ihm im Sinne von Hans Franks Neuformulierung „des kategorischen Imperativs im Dritten Reich“, die Eichmann gekannt haben mag, befahl: „Handle so, dass der Führer, wenn er von deinem Handeln Kenntnis hätte dieses Handeln billigen würde.“ <<(Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen, München 1986 S. 174 f.)
Der KI ist aber aus meiner Sicht, wie ich oben in meiner Definition von Moral dargestellt habe, ein Leitfaden zum moralischen, pflichtbewussten Handeln. Wie ich sagte, gibt es für jeden Eichmann (der dieses Pflichtbewusstsein falsch auslegt) einen Menschen, der den Kategorischen Imperativ in dem Sinne nutzt, wie Kant ihn formuliert hat, zur Ausschaltung der Beliebigkeit durch Erfahrungen und Neigungen. Und daher denke ich nicht, dass es einer neuen Moral bedarf. Sondern einer steten Aktualisierung, was mich zu meinem letzten Punkt bringt.
Was die Variabilität von Moral angeht, ist es so, dass Sie genau die richtigen Stellen benennen, mich aber scheinbar falsch verstanden haben. Auch dafür muss ich um Ihre Verzeihung bitten und stattdessen ein Beispiel bringen:
##### Gott sei Dank ist die Moral variabel
Ob Ihnen da auch all jene Menschen zustimmen, die unter der zu ihrer Zeit – so richtig schön variabel – herrschte, gelitten haben, gerade noch leiden?
-> Nein, natürlich nicht. Das habe ich auch nicht behauptet. Aber ich bin mir sicher, dass jemand wie meine Großeltern, die die Schrecknisse bestimmter Zeiten erlebten, mir insofern zustimmten, als dass sie sagten: "Es ist traurig, dass wir soviel ertragen mussten. Dass unsere Geschwister sterben mussten. Aber es macht uns glücklich, dass Ihr dadurch besser lebt und dies alles sich zum Guten wendete!". Was sich letztlich auf die Etablierung von Rechten, Menschenrechten, bezieht, unter deren Prämissen wir ja unser Leben führen dürfen. Ist die Welt unter diesen Bedingungen und unter dieser Entwicklung nicht moralischer geworden? Zur Zeit meiner Großeltern waren Menschenrechte eben kein Bestandteil des Alltags und die Kinder wurden auch nicht dazu erzogen sie zu achten und zu befolgen. Im Gegenteil, man lehrte Rassenhass. Wenn ich also von Variabilität rede, so meine ich eine unterschiedliche Betrachtung der gesetzten Werte, dass sich die Moral von der Pflicht zum Rassenhass zu einer Moral der Pflicht zum Menschenrechte geändert hat. Das wir den Kindern erklären, dass es eine Pflicht ist zu lieben und nicht eine Pflicht zu hassen.
Sehr geehrter Herr Böhle,
ich hoffe, dass Sie diesen Ölzweig annehmen können und akzeptieren können, dass ich die Intention Ihres Textes falsch gedeutet habe und wir wohl eine unterschiedliche Definition von Moral zu Grunde gelegt haben. Ich hoffe, dass ich Sie hingegen mit meinen Darlegungen davon überzeugen konnte, dass ich kein Idiot bin, der von Sachen spricht, die er angeblich nicht gelesen hat.
Ich räume durchaus ein, dass ich ein schwieriger Mensch bin, aber ich bin belehrbar. Daher bitte ich Sie noch einmal, mich nicht für einen Ignoranten zu halten, sondern mir dabei zu helfen meine Fehler zu überwinden.
In Hochachtung
Kalle Simon